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„Unterscheidet sich die Elektronik-Szene in Riga von anderen Szenen in Europa?“

Produzent Rostislav Rekuta, Elektronik-Musiker Evgeniy Droomoff ,Sängerin Tonya Pilugina von „Sound Meccano“ im Gespräch

redaktionsbüro: Ursula Maria Probst
Rostislav Rekuta, Evgeniy Droomoff,Tonya Pilugina :
- Wie wirken sich in Riga die gesellschaftspolitischen Veränderungen und der Übergang von einem kommunistischen in ein kapitalistisches System auf die Musikproduktion und die Elektronik-Szene aus?
- Rostislav Rekuta: Musik ist ein Teil des Lebens, in den gesellschaftspolitische Veränderungen hineinfließen. Die Veränderung spiegelt sich insofern in der künstlerischen Produktion in Lettland wider. In der postsowjetischen Ära der vergangenen zehn Jahre wurde offensichtlich, wie rege das Interesse der lettischen Musiker und Künstler am europäischen Kulturgeschehen ist und wie sehr sie fortwährend in internationale Festivals involviert waren.
- Inwiefern spiegelt sich in der lettischen Musik das Gesellschaftliche wider?
- Evgeniy Droomoff: Es gibt eindeutig wieder einen Trend zu postindustriellen Sounds und hartem Techno, was immer das auch heißen mag. Anfang der 1990er Jahre begann man auf billigen sowjetischen Soundsynthesizern zu produzieren, heute werden akustische Sounds über den Laptop transformiert. Wenn ausreichend Ideen vorhanden sind, kann man allerdings auch heute noch mit billigen Synthesizern hervorragenden Sound produzieren. Die globale Welt hat inzwischen auch Lettland erreicht. Die Grenzen zwischen Pop und Underground, kommerziellen und nichtkommerziellen Sounds sind in Lettland so gut wie nicht mehr existent. Was heute dabei zählt, ist, sich gegenüber dem schlechten Geschmack resistent zu zeigen.
- Unterscheidet sich die Elektronik-Szene in Riga trotzdem von anderen Szenen in Europa?
- Rostislav Rekuta: Es existiert ein breites Spektrum und wir sind für alles offen, sofern die Qualität stimmt. Wir haben eine Musikszene in Riga mit jungen Menschen, die sich für elektronische und experimentelle Sounds, aber auch für Hip-Hop, Trip-Hop und Reggae interessieren und sich Informationen per Internet herunterladen oder sich im Austausch mit internationalen Künstlern aus Europa, Kanada oder Japan befinden.
Als die Grenzen sich öffneten, fanden viele Technopartys – zum Teil illegal in Fabrikgebäuden – statt. In den letzten Jahren haben sich viele Künstler für elektronische, elektroakustische und experimentelle Sounds zu interessieren begonnen.
In den Clubs von Riga wie „Depo“, „Pulse“ und „Collonel“ werden unterschiedliche Sounds von Ambient Music über Dancefloor bis hin zu Techno gespielt. Es ist für die lettischen Künstler schwierig, etwas völlig Neues zu erfinden. In unserem aktuellen Projekt haben wir etwa die Soundkulisse von Paris – Straßenlärm, Geräusche von Aufzügen und vieles mehr – aufgenommen.
- Sie gestalten für Radio NABA 96, 2fm in Riga eine Musiksendung?
- Rostislav Rekuta: Ich kümmere mich um die Übersetzungen für die „Deutsche Welle“ für Lettland und stelle ein Programm mit internationalen Sounds und Neuer Musik zusammen. In meiner Sendung wird beispielsweise auch die elektronische Szene in Japan vorgestellt. Aber leider existiert in Riga kein Zentrum für elektronische Musik. Die Diskussionen darüber finden eher im Wohnzimmer statt.
- Wie steht es um die Ökonomie, seit Lettland in der EU ist? Wirkt sich das auch auf Ihre Arbeit aus?
- Rostislav Rekuta: Im Augenblick sind diverse Umstrukturierungen, die durch den EU-Beitritt ausgelöst wurden, noch nicht sichtbar, doch wird weiterhin an der Basis für Musikfestivals – trotz finanzieller Engpässe – gearbeitet. In Riga ist die Szene klein und jeder kennt jeden, dennoch werden Kommunikation und Zusammenarbeit davon überschattet, dass es zu wenig finanzielle Unterstützung und Subventionen gibt. Die Projekte sind zum Teil im restlichen Europa populärer als in Riga.
- Wie ist die Infrastruktur für elektronische Musiker in Riga?
- Evgeniy Droomoff: Seit drei Jahren gibt es für experimentelle und elektroakustische Sounds das sehr gut besuchte Festival „Sound Forest“.
- Gibt es potenzielle Sponsoren für Musik in Riga?
- Tonya Pilugina: Für den Eurovision Contest und für Volksmusik gibt es Sponsoren, doch kaum für experimentelle und elektronische Musik. Die Musiker realisieren dennoch ihre Projekte. Je unabhängiger sie agieren, desto besser. Wir machen unsere Kunst – ob wir nun dabei finanziell unterstützt werden oder nicht.
- Welchen Jobs gehen Sie nebenbei nach, um zu überleben?
- Rostislav Rekuta: Ich organisiere Projekte rund um meine Radioshow und mache Marketingjobs.

Tonya Pilugina: Ich arbeite als Fashiondesignerin.
- Was halten Sie davon, wenn Relikte aus dem Zweiten Weltkrieg wie der Flakturm in Wien mit elektronischer Musik bespielt werden?
- Evgeniy Droomoff: Ich sehe das Radius-Festival, an dem viele Musiker und Künstler aus Georgien, der Ukraine und Sibirien teilnehmen, zwar nicht als ein politisches Festival, doch es ist gut, wenn solche Plätze immer wieder neu besetzt und dadurch verändert werden. Nach all dem politischen Stress, den Menschen durch Machtapparate erleben, ist es notwendig, ein kreatives und kulturelles Potenzial zu schaffen, um Geschichte selbst zu gestalten.
Evgeniy Droomoff arbeitete zwischen 2001 und 2003 mit dem lettischen Experimentallabel „Kolka“ zusammen und war 2002 in das Musikprojekt „Kriipis Tulo“ involviert. 2003 veröffentlichte er zwei Samizdat-Alben: „J-pitch“ und „EmDA“. Mit Rostislav Rekuta (aka „Sound Meccano“) brachte er 2004 sein erstes Release „Volokno“ heraus.

Auf Rostislav Rekuta gehen Publikationen wie „Neuron Communication“ (1999–2000) oder das „Digits Throw“-Album (2000) zurück. Seit 2001 agiert er als „Sound Meccano“ und experimentiert mit elektronischer Musik. „Sound Meccano“ betreibt unter anderem wöchentlich eine Radiosendung für Neue Musik auf NABA 96.2 FM (in Zusammenarbeit mit der Deutschen Welle).

Tonya Pilugina arbeitet projektbezogen als Sängerin und Flötistin mit „Sound Meccano“ sowie als Fashiondesignerin in Riga.

Ursula Maria Probst ist Kulturarbeiterin, Kritikerin und Kuratorin in Wien.

Artikel erschienen in: REPORT. Magazin für Kunst und Zivilgesellschaft in
Zentral- und Osteuropa,Dezember 2005
Link: REPORT online - Link: rx-tx/progress - Link: electrosputnic.com - Link: rx-tx/Sound Meccano - Link: Skaņu mežs -